Ich finde den Ansatz aus unserem ersten Interview total spannend, dass man anders denkt und damit die Journey spannender gestaltet. Aber wie kommt man dazu? Wie kann man so Out-of-the-box denken, dass man die User so ansprechen kann?
Bei mir war die Konzentration auf Digitalprojekte zu Anfang gar nicht so stringent, sondern ich habe meinen Abschluss in Kooperation mit dem Virtuellen Studio des WDR gemacht. Also einem Digitalbereich, in dem es stark um das Erzählen von Geschichten geht. Nach meinem Abschluss bin ich in einem Bereich gelandet, bei dem es um interaktive Ausstellungen ging. Das heißt, ich habe vor über zehn Jahren schon einige Augmented Reality Projekte gemacht und AR war damals schon ein sehr spielerischer Bereich innerhalb der Digitalbranche. Man hatte beispielsweise keine Maus für eine Anwendung, sondern man hatte den Körper des Nutzers. Man hat sich frei Gedanken machen können: Was passiert, wenn jemand durch den Bildbereich geht? Was passiert, wenn jemand die rechte Hand hebt? Was passiert, wenn jemand nah an eine bestimmte Fläche kommt? Wie nah muss er an diese Fläche kommen? Und durch den Filmansatz im Virtuellen Szenenbild beim WDR und den Augmented Reality Ansatz, gab es gar nicht so viele Richtlinien in meiner ersten Auseinandersetzung mit dem Digitalen.
Erst durch das Handelsblatt bin ich zurückgeworfen worden auf Monitore, einfache Monitore. Damals war noch nicht mal Responsive und App angesagt und das ist noch nicht all zu lange her. Ich denke, dass was ich daraus gelernt habe, aus dieser Augmented Reality Zeit, ist, dass Menschen Dinge gerne erspielen und wenn man Dinge selbst erkunden kann, dass das viel eher im Kopf bleibt. Das heißt, dass man dadurch natürlich ein besonderes Erlebnis schafft, das nicht so schnell vergessen wird. Das ist ähnlich, wie im normalen Leben. Wenn man immer dasselbe macht, wenn der Tagesablauf immer gleich ist, wenn man jede Woche dieselben Veranstaltungen besucht, dann ist das Jahr relativ schnell rum und an was erinnert man sich? An irgendeinen Urlaub oder an irgendein besonders schönes Date oder an ein bestimmtes Ereignis; aber nicht an den wöchentlichen Mittwochstermin. Und ähnlich ist es auch mit Digitalprojekten.
Wenn du immer dasselbe bietest, dann ist das auch ok und gibt auch eine Sicherheit. Ich bin auch nicht dafür, diese Sicherheit aufzulösen, sodass sich der Nutzer nicht mehr zurechtfindet. Aber in dem Moment, indem man etwas Besonderes bekommt, was einen überrascht oder mit dem man sich beschäftigt oder mit dem man spielt, behält man es eher in Erinnerung. Das ist eigentlich auch im Sinne von jedem, der wirbt. In dem Moment, wo ich beispielsweise ein Problem habe und es verläuft positiver, als ich erwartet habe, dann habe ich in kürzester Zeit eine unglaublich positive Verbindung zu einer Firma hergestellt. Das ist mir beispielsweise letztens bei Amazon passiert. Für mich war Amazon eine nette Plattform, die aber den Einzelhandel an sich etwas kaputt macht und Mitarbeiter nicht gerade gut behandelt. Und ich bin schon ein gerechtigkeitssensibler Mensch und Amazon hatte bei mir schon Verwendung, aber nicht den besten Ruf. In dem Moment, indem ich das erste Mal etwas reklamieren musste, hat sich das geändert. Ich habe die Telefonnummer sofort gefunden, ich hatte sofort einen echten Menschen am Telefon, mein Problem war innerhalb von fünf Minuten geregelt und ich bekam sofort eine Bestätigungsmail, wann das Geld zurückerstattet wird. Ich konnte es fast nicht glauben. Seitdem sehe ich Amazon anders. Vielleicht ist ein Problem gelöst zu bekommen nicht der typische Gamification Ansatz, aber seitdem habe ich ein anderes Verhältnis zu Amazon. Über Werbemaßnahmen müsste man viel Geld ausgeben, um einen Nutzer so positiv zu erreichen. Auch mit den einfachen Sachen, die man dann einfach ein bisschen anders macht als die Konkurrenz, kann man positive Erlebnisse schaffen, die in Erinnerung bleiben.
Wenn wir auf den Chatbot eingehen. Du bist ja auch im Design tätig und im UI, wie siehst du denn die Einbindung von Chatbots auf Webseiten. Findest du, dass diese gut gelingt?
Ich finde die Einbindung von Chatbots auf Internetseiten erstmal gut, einfach, weil es auch den spielerischen Ansatz hat. Allerdings muss ich schon sagen, dass viele Unternehmen Chatbots nur in dem Sinne verwenden, dass sie Informationen, die auch über das Menü zugänglich wären, über den Chatbot anbieten. Wenn ich eine komplexere Frage habe, dann hat der Chatbot meistens ein großes Problem. Das bedeutet, bei mir steigt die Frustration. Wenn ich dann noch auf andere Wege ausweichen kann, dann ist das gar kein Problem, dann halte ich Chatbots für eine schöne Sache. Es ist eine Alternative, der Bot kann vielleicht auch ein bisschen mehr, als die Menüführung, es macht vielleicht auch ein bisschen mehr Spaß. Aber in dem Moment, in dem ich auf einen Chatbot reduziert werde, der nicht mehr kann, als Websiteinhalte anzubieten und vielleicht ein oder zwei extra Fragen zu beantworten, fühle ich mich relativ schnell genervt. Dann ist das eher negativ. Und da geht es wieder um Kommunikation. Wenn ich mit meinem Partner spreche und sage: „Schatz, würdest du bitte spülen, wenn du was verwendet hast?“ Und nichts passiert, dann werde ich sauer. Und eigentlich ist es Menschen auch egal, ob ein Chatbot das Problem löst oder ein Mensch. Leider. Aber es ist nun mal so. Man hat ein Problem, man möchte eine Lösung und wenn man mit diesem Problem irgendwohin geht und man wird zwei- oder dreimal nicht verstanden, dann wird man innerlich sehr, sehr sauer. Und das ist auch ein Gefühl, das viele mit Chatbots verbinden. Momentan kann man dem nur entgegenwirken, indem man noch eine Alternative gibt. Wenn man die Menschen sozusagen mit dem Chatbot nicht alleine lässt, weil es hier einfach noch technische Grenzen gibt.
Wenn bspw. ein User eine negative Erfahrung mit einem Chatbot gemacht hat und das Unternehmen den Chatbot aber weiterentwickelt, wie gewinnt man den User zurück und bekommt ihn dazu, dass er/sie den Chatbot erneut nutzt?
Wenn ich die Frage von einem Kunden bekommen würde, dann würde ich sagen: Lass uns den Chatbot neu verpacken. Ich würde nicht nur erklären, hier ist was anders, sondern ich würde es auch sehr visuell machen: Gerade über ein anderes Aussehen, eine Animation, einen anderen Charakter. Man kann danach wieder zurückgehen auf die schlichte Version. Aber dann hat der Nutzer einmal gelernt: Hier, beschäftige dich nochmals mit mir. Es war vielleicht nicht umsonst, ich bin jetzt jemand anders.
Das ist ein sehr spannender Ansatz. Was denkst du, was sollten Unternehmen anders machen im Sinne der UX? Den spielerischen Ansatz hast du ja schon erläutert, aber welche Vision sollten Unternehmen im Bereich UX sonst noch verfolgen?
Manchmal sollten Unternehmen einfach mutiger sein. Es ist wichtig, immer wieder den Nutzer zu spiegeln und den Nutzer zu verstehen, denn das ist die einzige Möglichkeit die Kommunikation mit der Kundengruppe oder mit der potentiellen Kundengruppe aufrecht zu erhalten. Manchmal habe ich allerdings auch das Gefühl, dass Nutzertests unmutig und willkürlich werden. Das heißt, in dem Moment, indem man einen A/B-Test macht, testet man ja schon zwei Möglichkeiten. Man hat schon die Vorauswahl getroffen, dass man jetzt blau gegen rot testet, aber vielleicht wäre es ja grün gewesen. Das heißt, man belügt sich mehr oder weniger selber. Man geht nach draußen, lässt den Nutzer dann mitentscheiden, hat aber durch die Frage schon etwas vordefiniert. Ich habe da das Gefühl, dass Unternehmen mehr auf den Nutzer hören müssen, den Nutzer verstehen müssen… aber dass sie auch Entscheidungen an den Nutzer übertragen, die nicht immer ganz sinnvoll sind und Antworten verwerten, die nicht sehr aufschlussreich sind.
Ich würde manchen Unternehmen einfach unterstellen, dass dadurch teilweise auch ein Verhalten aufkommt, alle Entscheidungen an den Nutzer weiterzugeben. Dass man Dinge konfus testet und daraus Rückschlüsse zieht ohne den Kontext zu berücksichtigen, indem man den Test veranlasst. Dadurch hat man Unternehmen, die alles richtig machen wollen und dadurch dann zwischen unglaublich viel Nutzerentscheidungen schwimmen und zum Schluss eigentlich ein Nutzererlebnis generieren, welches gar nicht mehr spezifisch ist oder sein kann: Das man sich auch nicht merkt. Das wird dann austauschbar. Das heißt, ich würde Unternehmen raten, hört auf den Nutzer, denn es sind eure Kunden, mit denen ihr kommunizieren müsst, aber übertragt nicht die ganze Verantwortung auf irgendwelche Tests. Seid mutig und strahlt ein bisschen mehr Präsenz aus.