Experteninterview zum Thema UX

Was hat UX mit gesprochener Sprache zu tun und warum lieben wir kleine Läden oft mehr als große? Warum frustrieren uns Warteschlangen manchmal und manchmal nicht und was hat Apple mit der Türsteherpolitik vom Berghain gemeinsam? Ein Interview geführt, von Maria von IBM Deutschland mit Maika Paetzold zum Thema ›User Experience‹.

Ich würde gerne als erstes von dir wissen, welche Rolle spielt UX im CX? Denn nach meinen wissenschaftlichen Quellen stellt UX der Digitalbereich des CX dar.

Im Endeffekt kann man nicht nicht wahrnehmen. Das ist und bleibt der Dreh- und Angelpunkt und zwar egal, ob man in der analogen Welt unterwegs ist oder in der digitalen. Man kommt an einen Punkt und macht sich ein Bild. Ob das jetzt eine digitale, virtuelle Situation ist oder eine reale, ist relativ egal. Das Gefühl, wenn man vor einer verschlossenen Ladentür steht oder ein Paket aufmacht, das besonders schön eingepackt ist oder das Gefühl, wenn man sich gleich auf einer Internetseite zurechtfindet und innerhalb kürzester Zeit das, wofür man dort ist, sozusagen befriedigt bekommt: Das ist eigentlich alles relativ nah dran. Im Endeffekt schwingt UX in allem mit, was wir machen.

Also würdest du UX gar nicht als Teil von CX verstehen, sondern beides gleichsetzen oder siehst du UX viel weiter aufgestellt?

Ja, ich sehe das viel, viel weiter. Und soweit ich weiß, ist das auch nicht nur mein Ansatz, sondern auch der Ansatz von Apple. Da wird genau geschaut, wie funktioniert beispielsweise der Bestellprozess und anschließend in der analogen Welt: Wie lange dauert die Lieferung? Wie sieht das Paket aus? Wie fühlt sich das Papier an? Wie fühlt es sich an, etwas zu öffnen? Wie fühlt es sich an, ein Gerät anzuschalten? Welchen Sound macht es? Und dann natürlich auch: Wie ist der digitale Registrierungsprozess? Mit anderen Worten, UX geht wirklich nahtlos in alle Bereiche über. UX betrifft jeden Touchpoint, den ich mit dem Produkt habe.

Das bedeutet, UX ist also gleich CX?

Im Endeffekt ist UX etwas weiter gefasst, denn nicht jeder der ein User ist, stellt auch gleich einen Customer dar. Nimmt man beispielsweise einen klassischen Marketingfunnel: Auch hier wird im ersten Schritt erst mal jeder angesprochen. Wer dann Customer wird, steht dabei noch in den Sternen. Egal, ob derjenige jetzt Kunde ist oder später Kunde wird oder vielleicht einfach nur von der Marke erzählt und dabei positiv gesonnen ist. Ob jemand Kunde wird steht am Anfang noch gar nicht so sehr im Vordergrund.

Glaubst du, dass es ein optimales UX gibt?

Im Endeffekt wäre es schade, da dann alles vereinheitlicht werden würde. Das ist auch der Grund, warum wir kleine Läden lieben und nicht so sehr die großen Ketten. Denn wir suchen immer ein anderes Erlebnis und gar nicht so sehr das Standardisierte, denn dann fehlt ja das Aufregende. Das hat dann eigentlich auch wieder mit Sprache und Kommunikation zu tun. Wenn es immer darum ginge den effizientesten, gleichen Weg zu gehen, der am meisten Sinn macht, dann würden wir uns immer ähnlich ausdrücken. Das heißt, wir würden einmal lernen, dass „Ich hätte gerne ein Glas Wasser“ zu einem Glas Wasser führt und auf andere Weise würde ich das dann auch gar nicht mehr ausdrücken. Dann könnte man sich darauf verständigen, man hätte ein klares Signal und würde sofort den dazugehörigen Reflex auslösen. Das wäre aber langweilig. Das heißt, man merkt gerade in der Sprache, dass wir sehr spielerische Menschen sind und dass gerade die Art und Weise etwas auf tausend verschiedene Arten zu sagen, das Spannende ist. Genauso ist es bei UX. Wenn es nur einen Weg gäbe, dann wären wir sehr, sehr schnell gelangweilt. Im Endeffekt ist es also jedem Unternehmen nahezulegen, für die Marke oder das Produkt eine eigene UX zu entwickeln und zu bedenken. Dennoch gilt es bestimmte Codes zu berücksichtigen. Wenn ich beispielsweise nach einer Decke frage oder nach einer Heizung, dann werde ich kaum ein Glas Wasser bekommen. Das heißt, ich muss schon ein Signal verwenden, welches der Nutzer oder mein Gegenüber versteht. Übertragen heißt das, auch im Screen-Design gibt es Regeln: Wo Buttons am besten hingehören, was hervorgehoben gehört und was nicht, was sich wo befindet. Man hat gelernt, dass ein Burgermenü innerhalb einer App ein Burgermenü ist und sich dahinter Inhalte verstecken und dass das Impressum auf einer Website meist unten ist. Ich würde nicht sagen, dass eine solche Standardisierung schlecht ist, denn das sind Regeln, auf die ich mich als Nutzer verlassen kann. Aber alles dazwischen, hat mit Kreativität zu tun. Ich glaube nicht, dass eine Vereinheitlichung hier all zu lange halten würde, einfach weil wir Menschen sind. Menschen brauchen auch einen Anreiz, ein Spielsystem. Da gibt es nichts Perfektes.

Das bedeutet eine optimal-einheitliche UX wäre für mich, dass ich als User immer perfekt angesprochen werde und nicht mehr selbständig denken müsste, was ich als nächstes benötige. Denn das Unternehmen würde wissen, was ich als nächstes bräuchte und mir das dann vorschlagen. Das hört sich wirklich etwas langweilig an.

Es kommt sehr deutlich darauf an, wie man kommuniziert. Das heißt, man versucht beim Gestalten, neben wiederkehrenden Mustern, den USP herauszuarbeiten: Ob über Farbgebung oder über UX Strategie. Diese kann zu ganz unterschiedlichen Lösungen zu einem Problem führen. Ein Beispiel: Es kann sein, dass es uns absolut frustriert, etwas nicht zu bekommen und man daraufhin keine Lust mehr hat dort hinzugehen, weil man warten muss oder damit rechnet, erneut frustriert zu werden. Es kann aber auch sein, dass genau dieser Moment das ist, was mich interessiert und es etwas ganz, ganz besonderes wird, etwas zu bekommen und anschließend in Händen zu halten. Nimmt man im Freizeitbereich den typischen Türsteher: Ich mache mich schick und weiß noch nicht, ob ich reinkomme. Das macht ja, teilweise leider, auch gute Clubs wie das Berghain aus und auch die Beliebtheit von manchen Restaurants oder von anderen Dienstleistern. Beispielsweise Apple: Dort vor dem Store zu stehen und zu schauen, ob man ein neues Produkt schon als Erster bekommt oder noch nicht; dann campt man auch noch vor dem Laden und vielleicht geht man nur mit dem Erlebnis nach Hause... Und das ist eine eigene Art, mit UX zu spielen und in einem anderen Moment, würde dieses Prinzip gar nicht funktionieren. Wenn ich beispielsweise irgendwo fünf Mal anrufen muss, um eine Servicedienstleistung zu bekommen und müsste die ganze Zeit virtuell anstehen, dann hätte dieses Unternehmen schon bei mir verloren. Es ist immer die Art und Weise, wie man eine Erfahrung spielt. Was bei dem einen schlecht ist, das muss bei dem anderen nicht schlecht sein, sondern kann sogar den Verkaufsfaktor ausmachen.

Hast du das Gefühl, dass Unternehmen UX wirklich einsetzen und umsetzen? Oder wird da eher von gesprochen?

Ich glaube, die meisten Unternehmen stellen sich das zu einfach vor. Man bildet dann eine Persona und überlegt sich, was diese Persona möchte.

Das ist genau der wissenschaftliche Ansatz, den ich herausgearbeitet habe. Man schaut sich die Personas an, dann die Customer Journey, es werden die Touchpoints betrachtet und dann wird an diesen gearbeitet.

Genau das machen wir hier auch. Genauso gehen wir hier auch vor. Aber man merkt dann relativ schnell über Testing Tools, dass der Nutzer einfach mal ganz anders reagiert, als man sich das denkt. Beispielsweise habe ich auf meiner Webseite ganz, ganz unten eine Grafik einer Papierseite, die umblättert. Das hatte grafische Gründe und ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht. Dann habe ich mir mal die Heatmap angeschaut und die Leute klicken wie wild unten auf die rechte Ecke. Das ist ein richtiger Hotspot. Dementsprechend könnte man sich auch überlegen, ob man das kreativ neu gestaltet und aus der unteren Ecke einen geheimen Bereich schafft, wo nur neugierige Leute drauf kommen. Bei Klick bekommt man dann vielleicht spezielle Informationen, warum [mettage] mettage heißt oder woher das Seepferd kommt oder wie man [mettage] richtig ausspricht. Auf Basis dessen könnte man dann auch die User Journey wieder neu entwickeln. Man muss sich einfach auch klar darüber sein, dass Menschen Menschen sind und sie anders reagieren, als man erwartet.

Wir sind schon am Ende unseres Interviews. Hast du noch etwas, du gerne sagen möchtest?

Wahrscheinlich würde mir noch ganz viel einfallen, aber im Endeffekt ist UX ein spannendes Thema und da es meiner Meinung nach keine optimale Lösung für alle Nutzergruppen und Bedürfnisse gibt, wird es immer ein spannendes Thema bleiben. Und das finde ich auch gut so.